Mode Kunst Krieg

Essays

Lee Miller war zusammen mit dem Life-Reporter David E. Sherman am Morgen nach der Befreiung im Konzentrationslager Dachau gewesen. Sie selbst hatte zunächst nicht glauben können, was sie sah und dachte, es handele sich um einen Propagandatrick der Amerikaner. Als sie begreift, dass alles echt ist, fotografiert sie. Sie fotografiert Leichenberge, verkohlte Menschenreste im Ofen und von Schmerz und Hunger verzerrte Gesichter von KZ-Häftlingen. Am härtesten ist jedoch ihre Serie der Täter. Betrachtet man diese Porträts von KZ-Aufsehern, die von ihren ehemaligen Häftlingen geschlagen worden waren, so scheint es, als habe Haß und Ekel Lee Miller zu einer Stufe höchster künstlerischer Klarheit und Schärfe geführt. Auf einem Foto, das in der Vogue abgebildet war, sieht man zwei junge, in Zivil gekleidete SS-Männer mit herabhängenden Armen, die aus dem Mund bluten. Sie knien auf dem Boden einer Zelle und blicken den Betrachter an. Lee Miller bemerkt zu diesem Bild, die beiden hätten sich jedes Mal, wenn die Tür aufging, zu Boden geworfen und um Gnade gewinselt. Sie hat diese Männer entgegen ihrer sonstigen Fotografierweise frontal aufgenommen, so dass sie einem direkt in die Augen blicken, und es ist dieser Blick, der sie verrät: Diese Männer kennen kein Gegenüber, sie schauen ins Leere. Sie sind voller Panik, weil niemand mehr über ihnen und niemand mehr unter ihnen ist. Sie haben ihre innere Balance verloren.