Die Geliebte des Duce

Die Geliebte des Duce

Die Geliebte des Duce.
Das Leben der Margherita Sarfatti
und die Erfindung des Faschismus.
München: Hanser Verlag 2004

Rezensionen

Verlagsprogramm

Ein spektakuläres Frauenleben: Aufgewachsen am Ende des 19. Jahrhunderts als Tochter jüdischer Großbürger in einem Palazzo am Canal Grande, zieht Margherita Sarfatti als junge Sozialistin und Vorkämpferin für die moderne Kunst nach Mailand. Dort lernt sie Benito Mussolini kennen. Ihre Liebe muß geheim bleiben, denn beide sind verheiratet – aber sie ist die Frau, die den linkischen, fanatischen Volksschullehrer in den charismatischen Duce verwandelt…
In diesem Leben spiegelt sich das 20. Jahrhundert: das neue Selbestbewußtsein der Frauen, die Radikalität der Avantgarde – und die fatale Faszination des Totalitarismus.
– aus dem Klappentext –

Margherita Grassini-Sarfatti war die Jüngste in einer Geschichte der Assimilation, die an ihr Ende gekommen war. Auch wenn ihre individuelle Assimilation geglückt war, blieb sie doch Teil eines Kollektivs, das seine Differenz zur Nation auszeichnete. Margherita wollte alles sein und wurde von der Furcht verfolgt, nichts zu sein. Die Entdeckung des Politischen wurde zum zentralen Gegenstand ihrer Abkehr von der Religion. Es war eine Politik, die sie als Elite bestätigte und im Kollektiv versteckte, eine Politik, die Terror anwandte, um ihre Prophezeiungen zu verwirklichen, eine Politik, die Erlösung durch Geschichte versprach. Margherita Grassini-Sarfatti wählte nicht den Tod, sondern den Faschismus.

Ihre erste Liebe war der Sozialismus. Sie begegnete ihm mit fünfzehn Jahren bei einem Urlaub an der Adria in Gestalt eines rothaarigen Anthropologieprofessors aus Florenz. Ihr sozialistischer Missionar erinnerte das gebildete Mädchen an eine Darstellung des heiligen Matthäus auf dem Gemälde eines toskanischen Meisters aus dem Quattrocento. Er schenkte ihr Das Kapital und Schriften des Grafen Kropotkin, sie revanchierte sich mit einem Bildnis Shelleys. Der unglückliche Professor warb vergeblich um ihren Körper und eroberte mit Marx ihren Geist.

Er fiel Margherita Sarfatti sofort auf. Ihr Mann hatte ihr bereits von ihm vorgeschwärmt; doch sie hatte beschlossen, ihn zunächst nur amüsant zu finden. Er war ein kleiner Volksschullehrer, der sich vor dem Militärdienst gedrückt und einige Jahre auf Wanderschaft in Frankreich und in der Schweiz zugebracht hatte. In dieser Zeit hatte er zu schreiben begonnen. Aufgrund einer Generalamnestie war er 1904 nach Italien zurückgekehrt. Er nutzte seine abenteuerliche Vergangenheit, um sich als kompromissloser Kämpfer zu profilieren. Das Erbe seines Vaters und eine Mitgift der Verheißung waren die Vornamen von drei berühmten Revolutionären: Benito Juarez, Andrea Costa und Amilcare Cipriani. Er war drei Jahre jünger als Margherita, doch er hatte noch viel zu lernen.

Benito Andrea Amilcare Mussolini war scheu und gehemmt. Er fühlte sich als Außenseiter, und das Regelwerk eines Salons war ihm gänzlich unbekannt. Er wirkte linkisch in seinem schäbigen, viel zu engen Anzug, und die Gastgeberin raunte Margherita ins Ohr, er sei ein kleiner Träumer, der ein paar Seiten Nietzsche gelesen habe. Und die noch nicht einmal richtig, wie sie in einem späteren Gespräch feststellen musste. Im Gegensatz zu ihm war die Sarfatti eine elegante Erscheinung, die im Salon heimisch war. Sie umgab sich mit der Aura der Unnahbaren, war eine begehrte Gesprächspartnerin und beherrschte das kokette Spiel perfekt. Mit nüchternem Blick registrierte sie seine Mängel. Doch sie fasziniert von seiner ungestümen Männlichkeit und dem grausamen Zug um seinen Mund. Der kleine Volksschullehrer mit politischen Ambitionen schien ihr ein vielversprechender Liebhaber.

Viele faschistische Künstler und Intellektuelle sahen in Mussolini selbst das vollendete faschistische Kunstwerk. Kunst und Politik gingen in seiner Person eine zuvor nicht gekannte Symbiose ein. Die Paradoxie der Beziehung zwischen Faschismus und Kultur war in seiner Person gelöst. Sarfatti kannte ihn zu gut, um daran glauben zu können. Sie hatte aktiv an der Legende vom Künstler-Herrscher mitgewirkt, wenn sie in ihrer Biographie Mussolini wie folgt zitierte: „Meine Kunst ist die Kunst der Künste (…) ist die schwierigste von allen, denn sie arbeitet nicht mit totem Material, sondern mit dem labilsten und zartesten: den Menschen.“
Insgeheim fühlte sie sich ihm überlegen, denn sie hatte ihn erst zu dem gemacht, was er jetzt war Glücklich und zufrieden registrierte sie, dass er ihr wieder Violinserenaden am Telefon vorspielte. Ihre Träume wurden immer großartiger. In ihren Musestunden hüllte sie sich in Chiffon und malte sich aus, dass sie als diejenige in die Geschichte eingehen werde, die die zweite italienische Renaissance organisiert hat. Mussolinis Unentschiedenheit in Fragen der Kulturpolitik stand ihren hochgeschraubten Erwartungen entgegen. Wann immer sie konnte, agitierte sie gegen die künstlerische Vielfalt, die noch immer in Italien herrschte.

Amerika gewährte Margherita Sarfatti ihren letzten großen Auftritt. Hier galt sie noch etwas, und keiner fragte danach, ob sie im Ghetto geboren war oder woher ihr Reichtum stamme. In den drei Monaten ihrer Reise hatte Sarfatti die Demütigungen der vergangenen Jahre verdrängt, und irgendwann wieder daran geglaubt, eine wirklich wichtige Frau zu sein. Sie hatte ihre Rolle als Botschafterin des Faschismus und des Duce genossen, doch als sie allein in ihrer blumengeschmückten Kabine saß und die Skyline von New York verschwinden sah, wusste sie, dass der Vorhang gefallen war. Sie kehrte in ihr Land zurück, in dem ihr Abschied von der Bühne bereits beschlossene Sache war.